07.06.2023

Boekels: „Wir nutzen Erntehelfer nicht aus!“

Georg Boekels, Präsident des Provinzialverbands, hält die Vorwürfe der EU-Abgeordneten Maria Noichl für völlig überzogen und nicht haltbar
Foto: Weis

Schwere Vorwürfe gegen die deutschen Obst- und Gemüsebauer hat die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl erhoben. „In tausenden Fällen“ würden Erntehelfer ausgenutzt, kritisiert sie. Über diese Vorwürfe, die Unterbringung und die Entlohnung der Saisonarbeitskräfte sprach Spargel & Erdbeer Profi mit Georg Boekels, Präsident des Provinzialverbandes Rheinischer Obst- und Gemüsebauer.

Spargel & Erdbeer Profi: Herr Boekels, die agrarpolitische Sprecherin der SPD-Abgeordneten im Europaparlament hat in einer Pressemitteilung heftige Kritik am Umgang mit Erntehelfern geübt. Was wirft sie den deutschen Obst- und Gemüsebauern vor?

Georg Boekels: Genau gesagt handelt es sich um die Pressemitteilung vom 15. März, die mit dem Titel „Auch Deutschland lässt die Menschen auf unseren Feldern im Stich“ überschrieben war. Diese Pressemitteilung habe ich mit großem Entsetzen zur Kenntnis genommen. Maria Noichl behauptet darin, dass „in tausenden Fällen“ auch in Deutschland Erntehelfer ausgenutzt und betrogen würden. Das weise ich auf das Schärfste zurück.

In ihrer Pressemitteilung hat die Europaabgeordnete die Beschäftigung von Erntehelfern im deutschen Obst- und Gemüsebau auf eine Stufe mit einem aus Indien stammenden Erntehelfer gestellt. Dieser habe sich während seiner Beschäftigung in Italien das Leben genommen, weil er die Umstände seiner Beschäftigung nicht mehr ausgehalten habe, heißt es hierzu in der Pressemitteilung. Noichl wirft dabei den deutschen Obst- und Gemüsebauern vor, die Erntehelfer auszunutzen und zu betrügen, „um billig für europäische Produzenten und Produzenten auf den Feldern zu arbeiten“.

Spargel & Erdbeer Profi: Und was sagen Sie zu den Vorwürfen? Wie haben Sie darauf reagiert?

Georg Boekels: Natürlich kann man diese Vorwürfe nicht stehen lassen. Ich halte sie für total überzogen. Wir Obst- und Gemüsebauer in NRW und anderen Regionen Deutschlands nutzen Erntehelfer nicht aus. Meinen Unmut habe ich auch in einem Schreiben an Maria Noichl kundgetan. Diese Vorwürfe gegenüber unserem Berufsstand kann ich nicht akzeptieren, zumal mir persönlich nur ein einziger Fall bekannt ist hier im Rheinland, wo es wirklich erhebliche Probleme mit Saisonarbeitskräften gegeben hat. Aber staatliche Kontrollen belegen auch das Gegenteil.

Die landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Betriebe in NRW werden immer wieder vom Zoll und von den Ämtern für Arbeitsschutz der Bezirksregierung kontrolliert. Unter anderem in den Jahren 2020 und 2021 hat es zahlreiche Betriebskontrollen gegeben. Damals gab es mehrfach wiederholte Vorwürfe der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, kurz IG BAU, die Betriebe würden den Erntehelfern den gesetzlichen Mindestlohn vorenthalten und die Arbeitskräfte unzumutbar unterbringen. Dabei wurden im Jahr 2020 mehr als 250 Betriebskontrollen in NRW durch die Ämter für Arbeitsschutz durchgeführt. Bei diesen Kontrollen sind in drei Betrieben gravierende Mängel festgestellt worden. 2021 wurden mehr als 200 Betriebskontrollen durchgeführt und nur in zwei Betrieben gravierende Mängel festgestellt. Die Beanstandungsquote liegt damit bei jeweils 1 %, das ist ein erfreuliches Ergebnis. Aber dennoch wirft Noichl unseren Obst- und Gemüsebaubetrieben eine nicht belegte Zahl ausgenutzter und betrogener Erntehelfer vor. Das ist im höchsten Maße unseriös und reißerisch.

Spargel & Erdbeer Profi: Maria Noichl begründete ihre Vorwürfe mit dem Suizid eines Erntehelfers aus Italien.

Georg Boekels: Ja, genau. Natürlich kann man sich auf solche Fälle berufen, die irgendwo in der Welt passieren, und dann Vorwürfe erheben. Fakt ist aber, dass hier in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn 12  € pro Stunde beträgt. Gefolgt auf Luxemburg ist dies der höchste gesetzliche Mindestlohn in Europa. In Italien, wo der bedauerliche Suizid des Erntehelfers stattgefunden hat, gibt es hingegen keinen gesetzlichen Mindestlohn. Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf von der Europaabgeordneten, die deutschen Obst- und Gemüseerzeuger ließen Erntehelfer billig auf deutschen Feldern arbeiten, nicht haltbar. Ich habe sie daher aufgefordert, die irreführenden Aussagen zu widerrufen.

Spargel & Erdbeer Profi: Und hat die Europaparlamentarierin auf Ihre Aufforderung reagiert?

Georg Boekels: Nein, leider hat Frau Noichl sich überhaupt noch nicht geäußert. Ich hoffe aber sehr, dass sie es noch tut. Es wäre schön, wenn es zu dieser Thematik einmal ein klärendes Gespräch geben würde, denn diese Vorwürfe sind ja doch sehr belastend für unseren Berufsstand.

Spargel & Erdbeer Profi: Steht Maria Noichl alleine mit ihren Vorwürfen da oder werden auch von anderen Stellen Vorwürfe gegen die deutschen Obst- und Gemüsebauer erhoben?

Georg Boekels: Harald Schaum, stellvertretender Bundesvorsitzender der IG BAU, erhebt ebenfalls immer wieder Vorwürfe, dass die Betriebe den Erntehelfern den gesetzlichen Mindestlohn vorenthalten und die Arbeitskräfte unzumutbar unterbringen. Aber ebenso wie Maria Noichl nennt auch er nie konkrete Beispiele.

Spargel & Erdbeer Profi: Wie sieht es denn in Sachen Unterbringung und Entlohnung der Saisonarbeitskräfte speziell in den rheinischen Betrieben aus?

Georg Boekels: In den 1980er-Jahren gab es zugegebenermaßen Probleme bei der Entlohnung und der Unterbringung von Saisonarbeitskräften, die damals sicherlich nicht optimal war. Die Unterbringung ist aber heute so, dass manch eine Kommune sich wünschen würde, sie hätte solche Unterbringungsmöglichkeiten und Wohnstätten für ihre Flüchtlinge. Die Unterbringungsmöglichkeiten werden teilweise sogar von den Kommunen in den Zeiten angemietet, in denen sie leer stehen. Wie gesagt, immer wieder werden die Unterkünfte vom Zoll kontrolliert und darüber hinaus auch im Rahmen von QS. Die Obst- und Gemüsebetriebe unterwerfen sich freiwillig Betriebskontrollen durch QS. Und der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 12 € je Stunde brutto wird eingehalten. Wir brauchen uns also in Sachen Unterbringung und Entlohnung der Saisonarbeitskräfte nichts vorzuwerfen. Wir werden ja doppelt kontrolliert. Und das ist auch gut so, denn wir wollen ja nicht, dass unsere Produkte ein negatives Image bekommen.

Spargel & Erdbeer Profi: Jetzt werden erneut viele Saisonarbeitskräfte für die Spargelernte benötigt. Wie sieht es mit der Verfügbarkeit von Erntehelfern aus? Werden genügend kommen?

Georg Boekels: Ja, hoffentlich. Wir haben ja Gott sei Dank inzwischen die Coronapandemie weitgehend hinter uns gelassen. Dadurch sollte jetzt zumindest die Angst, die in den einzelnen Ländern vorgeherrscht hat, sich bei der Arbeit hier auf unseren Betrieben mit Corona zu infizieren, wegfallen. Allerdings haben wir nach wie vor diesen furchtbaren Krieg in der Ukraine, der möglicherweise Erntehelfer aus dem östlichen Polen abhält, in diesem Jahr auf unsere Betriebe zu kommen. Hier haben viele Angst, dass der Krieg auch in Polen ausbricht. Viele sind auch gebunden durch die Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine. Da muss man jetzt mal abwarten, wie viele Erntehelfer aus Ostpolen tatsächlich zu uns ins Rheinland kommen. Ich hoffe, dass der größte Teil der Saisonarbeitskräfte, die zugesagt haben, in der Ernte zu helfen, auch kommt. Bei dem Lohnniveau, das wir für die Saison 2023 haben, ist es ja außerordentlich interessant für viele, in Deutschland zu arbeiten.

Spargel & Erdbeer Profi: Bleiben wir beim Lohnniveau. Der Mindestlohn von 12  € für Saisonarbeitskräfte ist gesetzt. Was bedeutet das aber letztlich für die qualifizierten Mitarbeiter und ihre Entlohnung?

Georg Boekels: Der Mindestlohn wurde stark angehoben. Natürlich hätten wir uns als Berufsstand etwas anderes gewünscht, aber die Höhe des Mindestlohns wurde – wie sagt man so schön – par ordre du mufti, also von oben bestimmt. Ich hoffe sehr, dass wir die Entlohnung für die höheren Lohngruppen anders geregelt bekommen, und zwar so, wie es in guter Absprache die letzten Jahrzehnte funktioniert hat. Die Tarifpartner untereinander sollten hier das Lohngefüge neu ordnen. Und das Ganze sollte mit Augenmaß erfolgen. Ganz klar sollte man dabei im Blick haben, dass jeder gestiegene Lohn am Ende auch mit den Produkten am Markt umgesetzt werden muss.

Spargel & Erdbeer Profi: Wie stellt sich denn aktuell die Situation der rheinischen Obst- und Gemüsebauer dar?

Georg Boekels: Die Situation auf den Betrieben ist schwierig. Da ist zum einen die Erhöhung des Mindestlohns auf 12  €. Auf der anderen Seite haben wir aber in den Betrieben auch höhere Kosten für Energie, Strom und Mineralölprodukte u.a. Im Augenblick stehen viele Betriebe vor der Situation, dass sie keine Gewinne erwirtschaften werden in diesem Jahr. Und das trifft die Betriebe ganz hart, da keine Ersatzinvestitionen gemacht werden können, die aber dringend nötig wären.

Besonders problematisch ist die Situation für die Apfelanbauer. Hier haben wir das niedrige Preisniveau von 2019, das der Handel an uns Erzeuger im Augenblick weitergibt. Dies führt natürlich zu Verlusten in den Betrieben. Wenn aber der Apfel, die Erdbeere oder der Salat nicht die Kosten erwirtschaften, die sie verursachen, dann wird der Obst- und Gemüseanbau hier im Rheinland und in Deutschland verschwinden. Das sollten sich die Politik, die Gesellschaft und der Lebensmitteleinzelhandel unbedingt vor Augen halten.

Am besten ist, wir produzieren Obst und Gemüse hier vor Ort. Dann können wir auch die Bedingungen bestimmen, unter denen Obst und Gemüse angebaut wird. Wenn allerdings die Produktion hier bei uns durch ungünstige Rahmenbedingungen zerstört wird, dann wird Obst und Gemüse irgendwo anders in der Welt produziert und dann haben wir keinen Einfluss mehr auf die Produktionsbedingungen. Das sollte jedem klar sein.

Dr. Elisabeth Legge

Artikel aus Spargel & Erdbeerprofi 03/2023