04.01.2023

Entscheidung erst nach Blick auf Zahlen

Auch wenn die Lage in manchen Bereichen der Produktion angesichts der Kostensteigerungen und weiterer Faktoren durchaus ernst ist, sieht Ludger Linnemannstöns gute Chancen für die Betriebe, wenn sie gewissenhaft ihre Hausaufgaben erledigen
Foto: Heinz

„An einer Preissteigerung führt kein Weg vorbei“, so das Fazit von Ludger Linnemannstöns, Versuchszentrum Gartenbau Köln-Auweiler, LWK NRW, der auf den 18. Unternehmertagen Spargel & Erdbeer einen Vortrag mit dem Titel „Auf der Suche nach Orientierung – Entscheidungen in bewegten Zeiten“ hielt und dabei die Beerenproduktion betrachtete.

Sein Einstieg war eine präzise Schilderung der Ausgangssituation, die geprägt sei von Faktoren wie dem Wegfall der Pauschalierung, der Erhöhung des Mindestlohnes, einer zunehmenden Sozialversicherungspflicht, dem massivem Anstieg der Energiekosten, von Preissteigerungen bei fast allen Produktionsmitteln, von rasanter Inflation und der daraus resultierenden Kaufzurückhaltung beim Kunden sowie von der unsicheren Verfügbarkeit von Saison-Arbeitskräften. Wie auch schon zu vorangegangenen Unternehmertagen nahm Linnemannstöns einzelne Faktoren gesondert unter die Lupe und belegte seine Aussagen mit Zahlen.

Produktionskosten explodieren

Ein paar Beispiele. Die Entwicklung des Mindestlohnes von 7,40 € in 2015 auf 12,00 € in 2022 bedeutet eine Steigerung auf 162 %. Noch nie war die Steigerung von einem Jahr aufs nächste so hoch wie aktuell, nämlich um 15 %. Hinzu kommen einschneidende Kostensteigerungen in anderen Bereichen: Düngemittel (+50 % bis 100 %), Kunststoffprodukte, Töpfe etc. (+30 %), Tunnel, Stellagen etc. (+50 %) sowie Energie und Strom (+50 % bis 300 %)

Das alles lässt die Produktionskosten der Beerenbetriebe explodieren. An einem Beispielbetrieb (10 ha Tunnel, 20 ha Freiland, Erlös 3,80 €/kg) illustrierte Linnemannstöns die Auswirkungen des Wegfalls der Pauschalierung auf den Gewinn. Unterm Strich stieg nämlich dadurch die Lohnquote von 2021 zu 2022 von 40 auf 44 %. Für 2023 ist mit 54 % zu rechnen. Da in vielen Betrieben die Möglichkeiten der Rationalisierung ausgeschöpft sind, bleibt „…als einzig mögliche Reaktionen die Steigerung der Erlöse über Preiserhöhungen, deren Hintergrund gegenüber Handel und Verbraucher klar kommuniziert werden müssen.“

Nachkalkulation für Vorkalkulation

Um diesen Anforderungen gewachsen zu sein, sei eine präzise Preiskalkulation nötig und die wiederum müsse auf genauer Kenntnis des eigenen Betriebes aufbauen. “Machen Sie rückblickend auf die Saison eine detaillierte Nachkalkulation und eine daraus hervorgehende Vorkalkulation“, plädierte Linnemannstöns. „Überprüfen Sie alle Unterschiede, zum Beispiel die zwischen Freiland und geschützten Kulturverfahren, zwischen einjährigen und zweijährigen Anlagen. Dann erst können Sie die kommende Saison kalkulieren. Auch die ertragsunabhängigen Kosten spielen da eine große Rolle. Und rechnen Sie die zu erwartenden Kostensteigerungen mit ein, denn alles wird teurer, auch Verpackung, Kühlung etc.“

„Schlussendlich können Sie über die Preise für 2023 nachdenken, über eine kurzfristige Preisuntergrenze, die immer auch Substanzverzehr bedeutet und über die kostendeckende Preisuntergrenze, in deren Berechnung unbedingt auch Abschreibungen und Zinssätze für Eigenkapital einberechnet werden müssen. Gewinn und damit auch Privatentnahmen und vor allem Investitionen für die betriebliche Weiterentwicklung sind aber erst beim vollen Preis möglich.“ In Linnemannstöns Beispielbetrieb lag der volle Preis bei den verschiedenen Kulturverfahren zwischen 3,68 €/kg (Damm, Frigo einjährig) und 5,12 €/kg (Wandertunnel).

Nur auf der Basis genauer Kosten- und Verkaufspreis-Analysen lässt sich dann gezielt reagieren. Als mögliche Reaktionen nannte Linnemannstöns: „Überprüfen Sie, ob Sie Ihre Vermarktungswege anpassen sollten. Wie ist beispielsweise das Verhältnis von Direktvermarktung und Handelsvermarktung? Bekanntlich lassen sich in der Direktvermarktung Preiserhöhungen leichter durchsetzen. Möglicherweise ist es trotzdem effektiv, die Anzahl der Verkaufsstände in der Direktvermarktung zu reduzieren. Es kann aber auch vernünftig sein, sich gänzlich auf die Handelsvermarktung zu konzentrieren.“

Schwache Kulturen oder Standorte aufgeben

Auch einen emotionslosen Blick auf die Anlagen legte Linnemannstöns seinem Publikum ans Herz.  „Schwache Kulturen oder Standorte muss man aufgeben. Schwach heißt aber nicht nur ertragsschwach, sondern auch, dass die Entfernung vom Hof zur Fläche zu groß ist, nicht ausreichend Wasser verfügbar ist, die Pachtpreise zu hoch sind oder dass Bodengüte und Vorbelastungen kritisch sind.“ Auch die Kulturverfahren sollte man vor allem angesichts der Energiekosten überdenken und beispielsweise weniger heizen. Wichtig sei also, alle Daten schlagbezogen zu ermitteln.

Nachdem der Referent einzelne Kulturverfahren kostenmäßig durchleuchtet hatte, machte er Vorschläge, mit welchen Maßnahmen die verschiedenen Produktionsverfahren optimiert werden könnten. Dazu zählten unter anderem, großfruchtige Sorten anzubauen, die Pflanzabstände zu vergrößern und eine kurze Kulturdauer zu planen. Um die Arbeitsproduktivität mittels Technik zu erhöhen, helfen unter anderem Topfmaschinen zum Befüllen von Pflanzgefäßen, Transportbänder zum Heraustransport nach der Ernte, das mechanische Putzen und das mechanische Entfernen der Ausläufer oder der Einsatz von Railsystemen bei Stellagen. Bei Himbeeren verwies der Experte auf weitere Pflanzabstände und den Verzicht auf das Umpflanzen. „Vielleicht ist es angemessen, schon im Winter die eine oder andere Fläche aus der Kultur zu nehmen.“

Ehrliche Stärken-Schwächen-Analyse

Mit Blick auf den Personaleinsatz riet Linnemannstöns, sich folgende Fragen zu stellen: „Stimmt die Leistung, funktioniert die Leistungskontrolle? Funktioniert die Kommunikation – Wer gibt wem welche Arbeitsanweisung? Sind die Führungskräfte eingebunden und offen für Veränderungen? Wie ist die Stimmung im Betrieb? Wird mitgezogen? Welche Begrenzung der täglichen bzw. wöchentlichen Arbeitszeit ist optimal? Kann ich Arbeitsspitzen brechen oder vermeiden? Wo hakt es im Betrieb: Täglich, in der Saison, in der Arbeitsvorbereitung?“

Der Referent plädierte für eine ehrliche Stärken-Schwächen-Analyse und nannte als Beispiele möglicher Schwächen unter anderem: „Der Betriebsleiter ist 60 und ein Nachfolger unschlüssig. Der Absatz läuft zu über 90 % über den LEH. Die Unternehmens-Daten sind eher unbekannt. Es wird sehr viel gearbeitet…“ Nach solch einer Analyse sei es Zeit, die Unternehmensziele präzise zu formulieren, also Aussagen zu treffen über Gewinn, Betriebsgröße, Betriebsschwerpunkte, Wachstum, Saisonarbeitskräfte und nicht zuletzt über die ganz persönlichen Ziele. „Wenn Sie nicht nach den Stellschrauben fahnden und daran drehen, vielleicht sogar die Entscheidung für andere Kulturen treffen, dann übernimmt der Markt die Regulation“, warnte Linnemannstöns.    

Unternehmensziele sehr konkret formulieren

Dabei seien die Unternehmensziele sehr konkret zu formulieren, nämlich betriebsspezifisch, messbar, realisierbar und klar terminiert. Als Beispiel für solche eine Zielformulierung griff der Referent unter anderem in den Bereich Mitarbeiter: „Wir schaffen es, in der Saison 2023 nur noch an wenigen Tagen bei hoher Ernteleistung mehr als 10 h pro Arbeitskraft zu arbeiten. Für die Saison 2023 ist jeder Arbeitsbereich so organisiert, dass er einen Verantwortlichen und einen Stellvertreter hat. Für die Saison 2023 wird die Anzahl der Saison-AK um 10 % reduziert. Maximal sind gleichzeitig 120 Saison-AK auf dem Betrieb.“ 

Ein weiteres Beispiel kam aus dem Bereich Controlling und Anbauplanung: „Bis zum 30. November sind alle Felder und Sorten nach Arbeitsstunden, Erträgen und Erlösen bewertet und mit dem Vorjahr verglichen. Schwache Sorten oder Kulturverfahren werden ausgesondert. Starke gegebenenfalls erweitert. Für 2024 erfolgt bis zum 30. März 2023 eine Anbauplanung unter der Voraussetzung eines Absatzrückganges von 25 %. Bis zum 30. November werden die tatsächlichen betrieblichen Energieverbräuche erfasst und ein Plan zur Reduktion um 20 % entwickelt.“

Wettbewerbsvorteil durch südliches Klima

Die sich anschließende ausführliche Diskussion berührt noch einmal viele der vom Referenten aufgeworfenen Themen. So schauten die Fragesteller immer wieder ins südeuropäische Ausland und auf die dort ganz andere Kostenstruktur. Linnemannstöns verwies in diesem Zusammenhang auf die klimatischen Vorteile der dortigen Erzeuger, die zwar ebenfalls Kostensteigerungen hinnehmen müssen, aber nicht im selben Maße wie hierzulande mit den Energiepreisen zu kämpfen haben.     

Auf die Frage, wie weit die Fläche sinken müsse, um die Preise zu retten, antwortete der Referent: „Ihr Ziel sollte sein, lieber eine Palette zu wenig als eine zu viel zu produzieren.“ Er sprach von schätzungsweise 10 bis 20 % notwendiger Flächenreduzierung.  „Das wichtigste ist nicht der hohe Ertrag schlechthin, sondern die verkaufbare Ware.“ Erneut plädierte Linnemannstöns: „Jeder Betrieb muss für sich selbst rechnen und planen“.

Marlis Heinz