Erwinia in Erdbeeren
von Philip Lieten, Fragaria Holland
Rund um die Jahrtausendwende wurden in Belgien sporadische Infektionen von Erdbeeren mit Erwinia-und Pseudomonas-Bakterien beobachtet, besonders bei `Elsanta´ Durchkulturen und vereinzelt, bei `Clery´ Frühjahrskulturen in Tunneln. Typisch für die Bakterieninfektionen waren die eingeschnürten Blütenstängel sowie verkrüppelte, braun verfärbte Früchte, aus denen Öltröpfchen und Schleim drangen. Damals wurden die bakteriellen Infektionen als sekundär eingestuft (nach Analysen von PCF, Belgien). Schließlich gab es neben der Infektion auch noch andere Ursachen, die die Pflanzen geschwächt und somit anfälliger gemacht hatten (wie im Spargel & Erdbeer Profi 1/03 berichtet) – eigentlich also nichts Neues, immerhin gab es fast zeitgleich Meldungen von Erwinia amylovora-Fällen (Feuerbrand) bei Erdbeerkulturen in Bulgarien.
Seit dem Jahr 2008 jedoch trat bei einigen niederländischen Gewächshausbetrieben in größerem Umfang Bakterienbefall auf, der verantwortlich für Fruchtverformungen und Schleimfäule war. Als im Juni und Oktober 2013 dieser Befall an Blüten und Früchten wiederholt massenhaft auftrat, ergab eine Studie der Universität Wageningen (WUR), die in Zusammenarbeit mit der niederländischen Behörde für Waren- und Kundensicherheit (NVWA) durchgeführt wurde, dass es sich bei dem Befall um Bakterien der Art Erwinia pyrifoliae handelte. Das Novum daran war, dass diese Bakterienart bis dahin in Westeuropa noch nicht vorgefunden wurde und davon ausgegangen werden konnte, dass es sich dabei um einen primären Krankheitserreger handelte. Zuvor hatte es Ende der 1990er Jahre bereits Meldung aus Südost-Asien gegeben, wo Erwinia pyrifoliae-Bakterien bei Erdbeeren gefunden wurden, obwohl man diese vorher nur bei Birnen kannte.
Symptome
Die Bakterien greifen sowohl Blüten, Früchte, Blütenstängel als auch Blattstängel an. Gerade im zuckerreichen Blattsaft vermehren sich die Bakterien rasant. Aus den Blütenstängeln drängen dann Schleimtröpfchen nach außen und wenig später verfärben sich die Stiele schwarz. Auch auf den Blüten kann es zu Schleimbildung kommen: auf den Blütenstempeln und –böden bilden sich dann kleine, durchsichtige Tröpfchen. Später kann man milchige Schleimtröpfchen beobachten, die aus den grünen Früchten hervortreten. Die klebrige Substanz, voll mit Bakterien, führt im weiteren Verlauf zur Bildung verkrüppelter Früchte. Durch Bestäuber und Pflegemaßnahmen können sich weitere Blüten infizieren und so spätere Kulturen schädigen. Im Resultat entstehen verhärtete und verkrüppelte Früchte, die nicht komplett ausreifen.
Häufig werden aber auch reife Früchte und deren Kelchblätter von den Bakterien befallen, was dazu führt, dass sich diese braun verfärben und gelbe Öltröpfchen ausscheiden. Beim Durchschneiden der Frucht wird deutlich, dass die äußere Haut schwarz ist, während im Inneren das Fruchtfleisch feucht glänzt. Typisch für eine Erwinia-Infektion sind auch missgebildete Früchte, bei denen die Samenkörner auf der Fruchtaußenseite deutlich hervorstehen. Bei `Elsanta´-Durchkulturen, in denen das Problem häufig vorkommt, ist die Bakterieninfektion auf dem ersten Blütenstand nicht erkennbar, bei allen nachfolgenden Blütenständen jedoch schon. Dennoch sind sowohl Primär-, als auch Sekundärfrüchte von den Bakterien befallen. Später heranwachsende Früchte hingegen sind meist unversehrt und nicht infiziert.
In manchen Fällen bilden sich auf befallenen Blattstängeln in Tunnelkulturen auch 2 bis 3 cm lange Einschnürungen, aus denen nach kurzer Zeit Schwitzwassertröpfchen dringen. Die betroffenen Stellen verfärben sich in der Folge schwarz, trocknen aus und lassen den Blattstiel schlaff nach unten hängen bzw. knicken ab (daher auch der Name „Knicker“). Erkennbare Symptome an den Blättern sind bis jetzt noch nicht bekannt.
Bakterienbefall in der Praxis
Vermutlich sind die Bakterien der Gattung Erwinia sp. bereits ohne offensichtliche Symptome auf den Erdbeerpflanzen vorhanden und entwickeln sich erst unter bestimmten Bedingungen. Wo die Bakterien (auch Erwinia pyrifoliae) ihren Ursprung haben, ist jedoch noch ein Rätsel. Man weiß von Erwinia amylovora, das bekannt als Verursacher des sogenannten Feuerbrands ist, sind besonders Äpfel und Birnen schädigt, dass dieses eine große Bandbreite an potentiellen Wirtspflanzen hat und vornehmlich auf Pflanzen der Rosacea-Familie vorkommt. Typische Wirtspflanzen sind daher Erdbeeren, Brombeeren, Pflaumen, Kirschen, Quitten, Apfelbeeren und Zierpflanzen wie Feuerdorn, Spiersträucher, Mehlbeeren und Zwergmispeln.
Ob es Unterschiede in der Anfälligkeit der Erdbeersorten gibt, ist noch unklar. Bis jetzt kam es vor allem bei `Elsanta´ zu bakteriellen Infektionen. `Sonata´-Pflanzen, die in demselben Gewächshaus stehen, scheinen allerdings weniger anfällig zu sein. Gerade im Frühjahr - und vereinzelt im Herbst - kam es vermehrt bei `Elsanta´ Durchkulturen zum Befall. In einigen Fällen kam es auch in frühen Phasen der Kultur in beheizten Gewächshäusern unter Assimilationsbelichtung zu Befallserscheinungen. Auch bei `Clery´-Kulturen in beheizten Gewächshäusern unter Glas oder beim Frühjahrsanbau in Folientunneln hat es in der Vergangenheit wiederholt Probleme gegeben. Bei den Remontierern wurde bei Kulturen der Sorte `Ava´ unter Glas vereinzelt Bakterienbefall festgestellt.
Einflussfaktoren
Bei den Sekundär-Infektionen, die in der Vergangenheit erkannt wurden, beobachtete man eine Vielzahl an möglichen Einflussfaktoren, die zur Zellzerstörung in den Blüten, Blütenstängeln und Früchten beigetragen haben könnten und somit verantwortlich für die Missbildung der Früchte sein können. Durch Erwinia pyrifoliae hervorgerufene Infektionen wurden laut den Forschern der WUR als primäre Krankheitserreger identifiziert. Wo sich die Infektionsquelle befindet und wie sich die Erdbeerpflanzen infizieren, wird derzeit weiter erforscht.
Einfluss der Düngung
In der Versuchsanstalt Meerle (Belgien) wurde im Jahr 2000 bei `Elsanta´ Durchkulturen in Folientunneln ein Befall durch Erwinia sp. bei K/Ca-Düngeversuchen festgestellt. Dabei kam es besonders bei Pflanzen, die über lange Zeit zu wenig Calcium erhielten bei Durchkulturen auf Substrat zu Infektionen (s. Tab. 1). Dort fand man viele glasige und eingeschnürte Blütenstängel und beobachtete die Entwicklung von wässrig-braunen Stellen von 1-4 cm Länge an den Blütenstängeln und Blattstielen, aus denen braune, schleimige, ölartige Tröpfchen drangen. Auch unter den Früchten beobachtete man, wie aus einigen Exemplaren schleimige Tröpfchen hervortraten und die Früchte vollständig braun färbten. Bei näherer Untersuchung fand man heraus, dass es sich um Bakterien der Erwinia- und Pseudomonas-Gattung handelte.
Tab.1 : Wirkung von Ca/Mg-Verhältnis in der Nährlösung auf Glasigkeit und Absterben von Blütenstängeln
Konzentration in mmol/l in der Nahrung | Prozentsatz glasig brauner Blütenstängel | ||
Ca | Mg | Herbstanbau 2000 | Frühjahrsanbau 2001 |
3 2 1 0 | 1 2 3 4 | 3,7 1,2 26,4 56,9 | 7,8 8,5 25,0 41,7 |
*Herbstanbau am 10.07.2000 im Tunnel mit Weiterkultur
(Proeftuin Meerle, Belgien, untersucht durch Philip Lieten)
Während der Untersuchung wurde erkannt, dass durch den niedrigen Calciumgehalt die Zellwände der Blattstängel, Blütenzweige und Früchte nicht fest genug waren und bei Zeiten von großem Wurzeldruck bei hoher Luftfeuchtigkeit und geringer Verdampfung erdrückt wurden. Die austretende, zuckerhaltige Zellflüssigkeit bot dann einen optimalen Nährboden für Bakterien. Zwischen den Jahren 2007 und 2008 wurden bei einer Vielzahl von Erzeugern, die auf Kokos anbauten und ein Nährstoffschema mit hohem Kalianteil anwendeten, gleichfalls verkrüppelte und faserige Früchte in großem Maße gefunden. Bekanntlich bindet Kokos einerseits viel Calcium, andererseits wirkt eine Nährstofflösung mit hohem Kalianteil antagonistisch hinsichtlich der Calciumaufnahme. In belichteten Frühjahrskulturen sieht man häufig Probleme mit Tipburn, die auf einen ungenügenden Calciumanteil in den Zellwänden zurückgeführt werden können.
Klimatischer Einfluss
Es ist bekannt, dass sich Erwinia-Bakterien optimal bei Temperaturen zwischen 18 und 24 °C und gleichzeitiger hoher Luftfeuchtigkeit entwickeln. Unter den gleichen Umständen (relativ hohe Temperatur und Luftfeuchtigkeit) entsteht in Tunnel- und Gewächshauskulturen ein starker Aufwärtsstrom des Pflanzensaftes durch den Wurzeldruck.
In den Monaten Februar und März kommt es vermehrt zu sehr lichtreichen Tagen. Die Reaktion der Pflanzen äußert sich dann in einer Erhöhung des Saftstromes, besonders wenn viel CO2 hinzudosiert wird und große Unterschiede zwischen Tag- und Nachttemperatur vorherrschen. Wenn zusätzlich in diesem Zeitraum auf Grund der niedrigen Außentemperaturen wenig gelüftet wird, erhöht sich die Luftfeuchtigkeit schnell und trägt zum gesteigerten Wurzeldruck bei. Gleichsam erhöht sich die Luftfeuchtigkeit auch zum Abend hin, wenn bereits am frühen Nachmittag die Fenster geschlossen werden. An sonnigen Tagen ist das Gewächshaus dann zügig mit Feuchtigkeit gesättigt, was ebenfalls einen höheren Wurzeldruck zur Folge hat. Man sieht dann auch in Kulturen mit niedrigerem Fruchtbehang, dass sich durch den gesteigerten Wurzeldruck mehr verkrüppelte, faserige Früchte entwickeln. Junge und schwächere Zellen können auf diese Art auch erdrückt werden.
Einfluss von Vernebelung
In einigen Betrieben hat man festgestellt, dass kurz nach der Insektizid-Vernebelung gegen Blattläuse am späten Nachmittag die Luftfeuchtigkeit stark erhöht war. In den darauffolgenden Tagen wirkten die Pflanzen daraufhin etwas matter und kompakter. Man geht davon aus, dass sich durch die Entstehung von Abgasen der Benzinmotoren oder Gasverbrennung, die Stomata für einige Zeit verschließen und so ein Wachstumsstillstand entsteht. Auch die Verdampfung wird somit gehemmt.
Einfluss von Blatt- und Rankenentfernung
Wenn bei Durchkulturen kurz vor dem Wachstum der Blütenstängel rigoros Blätter weggeschnitten werden, tropft häufig etwas Zellsaft aus den Blattstängeln. Auch wenn später während der Blüte Ranken zurückgeschnitten werden, kann Zellsaft auf Blüten und Früchte tropfen. Hierauf können sich dann einfach Bakterien entwickeln.
Kulturmaßnamen
Aller Vermutung nach werden die Bakterien durch Insekten, Wind und Regen verbreitet. Pflege- und Kulturmaßnahmen wie z.B. das Blattpflücken, Blütenstängel umlegen und die Ernte können allesamt zur weiteren Verbreitung der Bakterien beitragen. Es ist daher ratsam, die abgeschnittenen Ranken so kurz wie möglich zu schneiden. Auf diese Weise kann kaum Zellsaft auf Früchte und Blüten tropfen. Zudem ist es gut möglich, dass Bienen und Hummeln die Bakterien übertragen können. Bei jeder neuen Kultur auch neue Hummel- oder Bienenvölker zu verwenden, ist darum empfehlenswert.
Während der Kultur sollte so gearbeitet werden, dass keine hohe Luftfeuchtigkeit und damit kein hoher Wurzeldruck entsteht. Ausreichendes Lüften und Heizen in Tunneln und unter Glas sowie eine calciumreiche Nährlösung (besonders bei Kokos) sind daher unabdingbar. Von der Vernebelung kurz vor oder während der Blüte ist zudem aus Gründen der Pflanzengesundheit abzuraten.