06.06.2017

Herausfordernde Zeiten

Unsere Welt ist ständig im Wandel, gegenwärtig jedoch – so scheint es – unter besonderen Vorzeichen. Nicht nur die politischen Machtverhältnisse und jahrelangen Beziehungen stehen auf dem Prüfstand. Europa ist zu neuer Einigkeit aufgerufen - wie diese vor dem Hintergrund des Brexit und des Wiederstandes einiger Regierungschefs erreicht werden soll, ist offen. Die französischen und deutschen Regierungschefs machen sich auf, die Rolle ihrer Länder innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft neu zu definieren und die Position der Zugpferde einzunehmen.

Glücklich, wer in diesen Zeiten in Ruhe auf dem Feld seinen Spargel oder die Beerenfrüchte ernten kann; wirklich glücklich – wohl eher kaum, denn das Bild trügt ein wenig. Die Saison 2017 war in ihrem bisherigen Verlauf wahrscheinlich noch untypischer als viele der vorausgegangenen Jahre. Die Worte eines niederländischen Betriebsleiters, der in einem Interview in dieser Ausgabe den Saisonverlauf als „herausfordernd“ und „kräftezehrend“ beschreibt, kann man nur unterstreichen.

Der Start in die diesjährige Spargel- und Beerensaison ist für viele Betriebsleiter gleichzusetzen mit einem Wechselbad der Gefühle, ein Extrem folgt auf das andere. Dabei immer den Überblick zu halten und die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist herausfordernd im wahrsten Sinne des Wortes und setzt eine „gute Erdung“ desjenigen, der Entscheidungen trifft und für deren Umsetzungen zuständig ist, voraus.

Trotz modernster Techniken scheinen längerfristige Voraussagen schwierig, wenn extreme Wetterbedingungen die Vorzeichen verändern. Der ausklingende Winter und das Frühjahr 2017 sind die besten Beispiele dafür. Nach einem eher als „normal“ einzustufenden Winter setzte Mitte März eine echte Hitzeperiode ein, die innerhalb weniger Tage die Natur erwachen und den Spargel unerwartet früh sprießen ließ. Weder die Betriebe noch die Absatzmärkte waren für einen solchen „Turbostart“ richtig gewappnet. Erntekräfte mussten kurzfristig ihre Anreise zu den Betrieben starten und zum Teil deutlich höhere Mengen als erwartet, auf den Märkten positioniert werden, sofern dies möglich war, denn viele Verbraucher waren noch nicht recht in Spargelstimmung.

Auf das zweiwöchige Hitzeintermezzo folgte eine fast einmonatige Kälteperiode mit zum Teil dramatischen Frostschäden in vielen Anbauregionen, die die Hoffnung vieler Beerenanbauer auf einen problemlosen Saisonstart zunichtemachte. Zum Teil gravierende Schäden bis hin zum Totalausfall waren stellenweise im Erdbeeranbau zu verzeichnen. Selbst im geschützten Anbau konnten nicht alle Bestände unbeschadet die frostigen Nächte überstehen. Dennoch hat der April 2017 einmal mehr unterstrichen, welche Bedeutung der geschützte Anbau für die Existenz der Betriebe und die Warenverfügbarkeit auf den Märkten hat. Auch Spargelbetriebe hatten unter dem Frost zum Teil erheblich zu leiden, insbesondere die Grünspargelernte war in einigen besonders betroffenen Regionen über eine längere Zeitphase nicht möglich. Die gesellschaftliche Kritik an geschützten Anbauverfahren muss ernst genommen werden, sie bietet Anlass für eine konstruktive, offene und an Sachargumenten orientierte Diskussion, der sich unsere Branche nicht verweigern kann (s. Artikel ab Seite 44).

Doch das Ende der Wetterextreme schien mit dieser Kältephase im April noch nicht gefunden, denn Ende Mai folgte eine Hitzeperiode mit bis zu 35 °C. Der 29. Mai ist vielerorts einer der heißesten Maitage seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor über 100 Jahren gewesen. Schnelle Entscheidungen und hohe Flexibilität sind also permanent angesagt – sicherlich für viele Verantwortliche in unserer Branche altbekannte Attribute. Neu dürfte jedoch die Geschwindigkeit der Abfolge sein, denn die Entscheidungen müssen immer kurzfristiger getroffen werden. In diesem Zusammenhang sind Transparenz im Unternehmen, klar geordnete Zuständigkeiten und Wege zur Umsetzung entscheidende Faktoren für die erforderliche Effizienz und den späteren Erfolg. Das menschliche Miteinander und die Freude an der Sache dürfen dabei aber nicht zu kurz kommen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen im Namen unserer Redaktion einen positiven Fortlauf der begonnenen Saison.

 „Die Saison 2017 war bisher noch untypischer als viele der vorausgegangenen Jahre.“

Thomas Kühlwetter