„Mindestlohn darf nicht weiter steigen“

Gesprächsbereit: HBV-Generalsekretär Hans-Georg Paulus, Lipp-Geschäftsführerin Alena Jurickova (v.l.), Ministerin Nancy Faeser (Mitte), Peter Lipp (2.v.r.) und Dr. Willi Billau (r.)Foto: Becker
Zu einer Hofbesichtigung und anschließendem Verbändegespräch mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte am 5. Mai der Arbeitskreis „Landwirtschaft und ländlicher Raum” des SPD-Bezirks Hessen-Süd eingeladen. Am Steinbrücker Hof von Peter Lipp in Weiterstadt wurde mit der Ministerin, die auch SPD-Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin zur hessischen Landtagswahl ist, über den Mindestlohn und weitere landwirtschaftliche Themen diskutiert.
Bei einem Betriebsrundgang informierte sich Faeser zunächst vor allem über die Ernte und Verarbeitung von Spargel. Hierbei wurde deutlich, wie viel Handarbeit trotz eines relativ hohen Mechanisierungsgrades am Betrieb in Weiterstadt beim Spargel zu leisten ist. Geschäftsführerin Alena Jurickova machte die Ministerin auf die Probleme der Landwirtschaft gerade im Ballungsraum aufmerksam. Die Nähe zu einem großen Kundenkreis nutzt „Bauer Lipp“ dagegen, indem er einen Hofladen mit großem Sortiment aus der Region und Gastronomie vor Ort betreibt.
Der 200-Hektar-Familienbetrieb Lipp hat sich auf Sonderkulturen spezialisiert und baut rund 100 ha Spargel, gut 30 ha Erdbeeren und knapp 15 ha Kürbisse an. Neben der Stammmannschaft von etwa zwölf Personen werden zur Ernte in den Sonderkulturen über 200 Saisonarbeitskräfte beschäftigt. Hier schlägt jede Mindestlohnerhöhung dramatisch zu Buche, so Jurickova.
Bekenntnis zu „konventionell“
Beim anschließenden Gespräch diskutierten Vertreter des Berufsstandes, Landtagsabgeordnete, Kommunalpolitiker und Mitglieder des Arbeitskreises mit der Ministerin, die sich in ihrem Eingangs-Statement zur konventionellen Landwirtschaft bekannte: „Jeder soll sich Lebensmittel guter Qualität leisten können.“
Karheinz Rück, Kreislandwirt in Darmstadt-Dieburg, umriss die drängendsten Probleme der Betriebe in der Region. „Der Flächenverbrauch wird immer nur in Sonntagsreden thematisiert, getan wird allerdings nichts dagegen“, monierte er. Außerdem kritisierte er den politisch gewollten Flächenzuwachs bei Bio: „Solche Ziele gehen zum Teil am Markt vorbei, wir haben unter den 514 Betrieben in Darmstadt-Dieburg nur 7 % Bio-Betriebe. Und wegen der preisbedingt wegbrechenden Kundschaft stellen einige sogar wieder auf konventionell um.“
Er wolle keinesfalls „Bio“ gegen „konventionell“ ausspielen, sondern sich im Rahmen des Bauernverbandes für alle Betriebe der Region einsetzen. Denn die grundsätzlichen Probleme wie Flächenverluste, Mindestlohn, Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels und Kostensteigerungen bei zu geringen Erzeugerpreisen beträfen alle Landwirte gleichermaßen.
Mindestlohn mit Entlastungen flankieren
Faeser bekannte sich in ihrer Rede zum „Niedersächsischen Weg“, den sie im Falle eines Wahlsieges auch für Hessen einschlagen wolle. Der Niedersächsische Weg ist eine Vereinbarung zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Politik, die konkrete Maßnahmen für einen verbesserten Natur-, Arten- und Gewässerschutz vorgibt. Die Inhalte dazu wurden auf Augenhöhe verhandelt. Die aktuelle Landesregierung habe zwar einen runden Tisch initiiert, die konkrete Umsetzung aber fehle.
Die Spitzenkandidatin der hessischen SPD für den Landtag sprach sich für den Mindestlohn aus, der ihrer Partei am Herzen liege. Allerdings müsse dieser durch Entlastungen der Betriebe an anderer Stelle flankiert werden. Auch für Erleichterungen bei der Visa-Vergabe für Saisonarbeiter wolle sie sich einsetzen.
Wichtig sei die Produktion regionaler Lebensmittel, die sowohl die Nahrungsmittelversorgung sicherstelle als auch Wertschöpfung in der Region halte. „Durch die kurzen Wege wissen die Verbraucher, wo die Produkte herkommen und wie sie erzeugt wurden“, begrüßte Faeser das Konzept des Hofladens von „Bauer Lipp“. Hinsichtlich des Preisdruckes, den vor allem der Lebensmitteleinzelhandel ausübe, stellte sie fest, dass hier der Markt nicht zum erwünschten Ergebnis führe und daher politische Unterstützung nötig sei.
Hinter der Ökofläche sollte auch Produktion stehen
Dr. Willi Billau, Vorsitzender des Regionalbauernverbandes Starkenburg, sprach ein weiteres Problem für die heimische Landwirtschaft an: den Wegfall von immer mehr Pflanzenschutzmitteln. „Ohne Pflanzenschutzmittel geht es nicht, sonst wandert die Produktion in andere Länder ab.“
Und er forderte konkret von der Ministerin: „Der Mindestlohn muss jetzt bei zwölf Euro bleiben, eine weitere Erhöhung können die Betriebe nicht verkraften.“ Faeser bemerkte hierzu, dass die Mindestlohnkommission dessen Höhe auf Konsensbasis bestimme, sie wolle die Bedenken der Anwesenden aber mit nach Berlin nehmen.
Arbeitskreissprecher Joachim Diesner betonte zum Abschluss, dass man beim Öko-Anteil einen marktorientierten Ausbau vornehmen müsse. „Wenn wir vor allem durch Mutterkuhhaltung in den Mittelgebirgen die Flächenziele erreichen, sieht das zwar erstmal gut aus, aber hinter der Fläche sollte auch eine entsprechende Produktionsmenge an Lebensmitteln stehen,“ so Diesner. Das müsse politisch stärker gefördert werden.
Zu den Ambitionen der SPD nach der Landtagswahl bemerkte er, dass das Agrarressort im Falle eines entsprechenden Ausganges gerne rot sein dürfe, aber man jetzt nicht eventuellen Koalitionsgesprächen vorgreifen wolle. Es sei auch vorstellbar, das Ministerium zu verschlanken, etwa die Atomaufsicht rauszunehmen, und den Sitz in die Fläche, etwa nach Nordhessen zu verlegen. Außerdem sollte die Landwirtschafts-Politik einen Schwerpunkt auf die regionale Lebensmittelerzeugung legen.
Karsten Becker, Landwirtschaftsverlag Hessen
Artikel aus Spargel & Erdbeerprofi 03/2023