21.06.2024

Frankfurter Rundschau: Womit kann sich Deutschland eigentlich noch selbst ernähren?

Weniger als ein Viertel des in Deutschland gegessenen Obsts kann aus heimischen Produkten gedeckt werden. Äpfel erreichen mit 57 Prozent den höchsten Wert.
Foto: Valenta

Ein Landwirt ernährt im Schnitt 139 Menschen. Das ist mehr als früher, reicht aber nicht für die Ernährung der Bevölkerung. Besonders bei Obst und Gemüse können wir einpacken.

„Ist der Bauer ruiniert, wird das Essen importiert“. Dieser Satz war am Rande der Bauernproteste oft zu lesen. Die Botschaft: Bei der nationalen Versorgung ist Deutschland auf die Landwirtschaft angewiesen. Oder auch etwas plakativer im Protestschildsprech gesagt: „Stirbt der Bauer, stirbt das Land“. Nur: Was produzieren deutsche Bauern eigentlich? Und könnten wir uns ausschließlich mit heimischen Produkten versorgen?

Selbstversorgung in Deutschland bei 81 Prozent

Ein einzelner Landwirt ernährt 139 Menschen. Diese Zahl ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewachsen – reicht aber tatsächlich nicht aus, um den gesamten Bedarf an Nahrungsmitteln hierzulande zu decken. Wie das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft mitteilt, liegt der Selbstversorgungsgrad in Deutschland bei 81 Prozent. Das ist mehr als doppelt so viel, wie noch 1990. „Eine imposante Zahl und doch nicht genug, um die Bevölkerung allein mit Lebensmitteln aus heimischer Erzeugung ausreichend versorgen zu können“, schreibt die BehördeDas heißt, der Rest kommt aus dem Ausland.

Versorgung bei Kartoffeln, Zucker und Fleisch top – Sonderfall Schwein

Die 81 Prozent sind ein Durchschnittswert. Von manchen Nahrungsmitteln produziert Deutschland mehr als genug, von anderen wiederum zu wenig. Sehr gut aufgestellt ist Deutschland bei folgenden Produkten:

  • Butter: 102 Prozent
  • Milch: 107 Prozent
  • Getreide: 107 Prozent
  • Fleisch: 120 Prozent
  • Käse: 132 Prozent
  • Zucker: 135 Prozent
  • Kartoffeln: 147 Prozent

Deutschland ist der größte Kartoffelerzeuger der EU und gehört auch zu den größten Süßwarenproduzenten. Auch bei Milch und Milcherzeugnissen wie Butter oder Käse ist die Versorgung gesichert. Bei tierischen Produkten ist Deutschland vor allem bei Schweinefleisch spitze. Hier liegt der Selbstversorgungsgrad bei 147 Prozent. Dementsprechend viel wird exportiert. 2022 gingen mehr als 2,5 Millionen Tonnen deutsches Schweinefleisch ins Ausland. Gleichzeitig importierte die Bundesrepublik auch über eine Million Tonnen.

Grund sind unterschiedlichen Essgewohnheiten auf dem internationalen Markt, wie Dirk Köckler vom Agrarunternehmen Agravis erklärt: „Bei Schweinefleisch sind wir Importeur von den sogenannten Edelteilen. Uns schmeckt das Schnitzel, uns schmeckt das Filet, das importieren wir zusätzlich aus dem Ausland.“ Weil der Bedarf an zum Beispiel Schnitzel schlicht nicht ausschließlich aus heimisches Produktion gedeckt werde. „Andere Artikel, die wir nicht so gerne essen, exportieren wir. Etwa Pfötchen, Schnauze oder Ohren, was in Asien sehr gerne gegessen wird.“ Agravis ist eine der führenden landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaften und Agrarhändler in Deutschland.

Kaum Selbstversorgung bei Obst und Gemüse

Darüber hinaus sieht es bei anderen Produkten weniger gut aus. Hier ist Deutschland auf Importe angewiesen:

  • Fisch: 17,3 Prozent
  • Obst: 23 Prozent
  • Öle und Fette: 29 Prozent (Rapsöl: 50 Prozent, Sonnenblumenöl: 15 Prozent)
  • Gemüse: 36 Prozent
  • Honig: 42 Prozent
  • Wein: 44 Prozent
  • Eier: 73 Prozent

Weniger als ein Viertel des in Deutschland gegessenen Obsts kann aus heimischen Produkten gedeckt werden. Äpfel (57 Prozent), Pflaumen (50 Prozent) und Erdbeeren (45 Prozent) erreichen die besten Selbstversorgerwerte. Andere Produkte wie Bananen oder Mangos kommen zu 100 Prozent aus dem Ausland. Weil sie hierzulande schlicht nicht wachsen.

Beim Gemüse sieht es etwas besser aus, aber letztlich werden nur Weiß- und Rotkohl (je 114 Prozent) über den Bedarf erzeugt. Die Gruppe Blumenkohl, Grünkohl und Brokkoli erreicht einen Selbstversorgungswert von exakt 100 Prozent. Dahinter folgen Sellerie (85) sowie Spargel und Möhren (je 75). Das mit großem Abstand beliebteste Gemüse der Deutschen kommt rechnerisch nur zu 3,5 Prozent aus heimischem Anbau: die Tomate. Dabei wäre‘sie wie viele andere Lebensmittel in Deutschland anbaubar.

Export von Lebensmitteln: „Deutschland ist ein absoluter Hochpreisstandort“

Warum die Produkte dennoch aus dem Ausland kommen, liegt auch an den Marktbedingungen. „Die Energiekosten sind europaweit am höchsten“, sagt Köckler. „Deutschland ist ein absoluter Hochpreisstandort“. Der Anbau von Gurken und Tomaten in den Niederlanden oder in Spanien sei billiger als in Deutschland. Hinzu kommen die hohen Standards, etwa beim Mindestlohn oder dem Pflanzenschutz.

„Wir in Deutschland haben die höchsten Standards, auch weil es am stärksten kontrolliert wird“, schildert der oberbayerische Landwirt Marinus Niederthanner im Gespräch mit unserer Redaktion. Er baut Äpfel, Erdbeeren und Wassermelonen an. „Gleichzeitig müssen wir mit dem Weltmarkt konkurrieren, wo billige Pflanzenschutzmittel noch zugelassen sind.“ Die Situation sei „echt zum Kotzen“. Auf dem Apfelmarkt etwa konkurriert Deutschland mit Polen. Im Nachbarland gibt es einen wesentlich niedrigeres Lohnniveau, sodass polnische Äpfel günstiger angeboten werden. Ähnliches gilt beim Spargel.

Versorgung in Deutschland: „Für Brot, Schnitzel und Pommes ist gesorgt“

Insgesamt hat Deutschland 2023 mehr Agrar- und Lebensmittelprodukte importiert als exportiert. Das geht aus Zahlen der GEFA, der Exportvereinigung für Lebensmittel und Agrarerzeugnisse, hervor. 61,4 Millionen Tonnen Import stehen 49,8 Millionen Tonnen Export gegenüber. Die GEFA sprach von einem „Rekorddefizit“, doch das bedeutet nicht, dass wir gänzlich abhängig von Importen sind oder sein werden.

Köckler sagt: „In Deutschland muss niemand hungern.“ Die Lebensmittelversorgung ist gesichert. Es gebe aber bestimmte Knappheiten, die sich gerade in Krisenzeiten zeigen. Während Corona gab es kaum Hefe, zu Beginn des Ukraine-Kriegs kaum Sonnenblumenöl. Ohne Importe geht es also nicht, wie das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft am Beispiel eines Restaurantbesuchs erklärt: „Für Brot, Schnitzel und Pommes ist hierzulande gesorgt. Für fast alle Gemüsebeilagen sowie den Obstsalat zum Nachtisch sind wir hingegen auf Importe angewiesen.“

Quelle: Frankfurter Rundschau