11.04.2024

Kommentar: Eine Frage der Sichtweise

Thomas Kühlwetter: Die Bauern haben die Kraftprobe mit der Regierung gewonnen“, titelt die „Welt“
Foto: RLV

Über Monate haben Deutschlands und Europas Bauern mit ihren Traktoren für ihre Ziele demonstriert, Straßen blockiert und Städte lahmgelegt. In Deutschland hatte die über Nacht von einigen Spitzenpolitikern beschlossene Streichung der Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge und die stufenweise Streichung der Agrardieselbeihilfe das Fass schlichtweg zum Überlaufen gebracht.

In Diskussionen wurde immer wieder deutlich gemacht, dass es den Bauern nicht nur um einseitige Belastung eines einzigen Berufsstandes nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt der Ampelkoalition geht. Ihr Protest richtet sich auch gegen eine Vielzahl an Beschlüssen, Verordnungen und Maßnahmen sowie eine schlichtweg ausufernde Bürokratie, durch die sie sich in ihrer Existenz bedroht und der Zukunft beraubt sehen. Der im vergangenen Jahr vom EU-Parlament gekippte Beschluss zur Reduktion des Pflanzenschutzeinsatzes (SUR), dem eine lange Diskussion vorausging und der den Sonderkulturanbau in vielen Gebieten und Regionen Deutschlands unmöglich gemacht hätte, ist da nur ein Stein des Anstoßes in einer langen Reihe.

Spricht man mit den Landwirten, fühlen sie sich von der Politik nicht verstanden. Auf der anderen Seite sollen sie in einem globalen Markt voller Ungleichgewichte für eine sichere, umweltschonende und preisgünstige Versorgung der Bevölkerung sorgen. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist nicht möglich. Das Erstaunen darüber – und manchmal auch das Entsetzen –, wie wenig Hintergrund zu Themen diejenigen haben, die mit ihrem Votum wegweisende Entscheidungen für eine Branche treffen, ist groß.

Der Plan zum Wegfall der Steuerbefreiung landwirtschaftlicher Fahrzeuge ist seit Monaten vom Tisch, der stufenweise Abbau der Agrardieselbeihilfe war Knackpunkt bei der Verabschiedung des Wachtumschancengesetzes. Am Ende hat es trotz energischen Widerstandes der Union, geknüpft an Zusagen der Ampelkoalition, man kommt den Bauern an anderer Stelle entgegen, die parlamentarischen Hürden genommen. Allerdings darf nur vage vermutet werden, auf welche Bereiche das signalisierte Entgegenkommen der Ampelkoalition sich beziehen soll – schriftlich fixiert ist nichts. Also ist davon auszugehen, dass die Debatte weitergeführt wird – Ende offen.
Die Bauern dürften sich, trotz inzwischen in einigen Bereichen zurückgenommener Einschränkungen durch die EU im Bereich von Umweltmaßnahmen oder Flächenstilllegungen, nicht als Sieger der Debatte sehen, denn viele ihrer Kernanliegen bleiben bestehen und sind nach wie vor ungeklärt.

 Anders wird dies von anderer Seite betrachtet. So titelt die Welt in ihrer Ausgabe vom 28. März: „Die Bauern haben die Kraftprobe mit der Regierung gewonnen“. Und weiter: „Die Landwirte-Lobby konnte mit ihren Trecker -Protesten zeigen, wie mächtig sie ist. Auf der Agenda steht nun statt Bienenschutz wieder das Bauern-Wohl.“
Und das Handelsblatt titelt am gleichen Tag: „Europas Bauern haben zu viel Macht“. Und weiter: „Sie torpedieren Freihandelsabkommen und verhindern Zukunftsinvestitionen“. Es wird also weiter spannend in der politischen Diskussion bleiben.

Der DBV und der ZVG haben inzwischen eine lange Vorschlagsliste zum Abbau der Bürokratie erstellt. Das Spektrum reicht von Vorschlägen zur Vereinfachung der Düngeverordnung, der Streichung der Ausweitung der Stoffstrombilanz auf den Gemüsebau und Erdbeeren im Freiland, die Vereinfachung von Antragsformularen bei Fördermaßnahmen oder die Forderung nach zeitnahen Betriebsprüfungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Man darf gespannt sein, was am Ende von diesen Vorschlägen tatsächlich aufgegriffen wird.

Doch jetzt gilt es erst einmal für die Betriebe, die aktuelle Saison in dieser überaus herausfordernde Zeit zu meistern. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus Redaktion und Verlag wünsche ich ihnen dabei viel Glück und Erfolg.

Thomas Kühlwetter

(Artikel aus SEP 02/24)